
Rdeča Raketa & Billy Roisz
Maja Osojnik – Elektronik, Stimme, Text
Matija Schellander – Modularer Synthesizer, Laptop
Billy Roisz – Live Video
Kompositionsauftrag SWR2. Uraufführung: 19. Oktober 2019 Donaueschinger Musiktage
“Gerne würde ich den Menschen gute, schöne Worte sagen, helle Worte, hell wie die Novembersonne im Karst. Doch mein Wort ist schwer und schweigsam, bitter wie die Wacholderbeere vom Karst. In ihm ist ein Leid, von dem ihr kein Wissen habt, und ein Schmerz, den ihr nicht kennen könnt. Mein Schmerz ist stolz und verschwiegen, und besser als die Menschen verstehen ihn die Föhren und Wacholdersträucher auf der Karstweide.” Der Verfasser dieser Zeilen – dem Vorwort seines posthum erschienenen Lyrikbands Pesmi (Gedichte)entnommen – ist der slowenische Lyriker Srečko Kosovel (1904-1926), dessen Gedicht rdeča raketa dem Duo Maja Osojnik/Matija Schellander seinen Namen gab: Jaz sem rdeča raketa, vžigam se in gorim in ugašam / Ich bin eine rote Rakete, ich entzünde mich, brenne, verlösche. Der Hauptvertreter des slowenischen Expressionismus und Konstruktivismus, Galionsfigur der slowenischen Avantgarde, der frühreife, brillante Kosovel gilt als das genialste lyrisch-philosophische Talent der slowenischen Moderne, ein slowenischer Rimbaud. Sieh doch, ich ganz in Rot! / Sieh doch, ich mit dem roten Herz! / Sieh doch, ich mit dem roten Blut! / Unermüdlich renne ich, als müsste ich selbst mich vollenden.
Zuerst der Name. Dann die Musik. Dann der Text. Dann die Fotografie. Dann die Sprache. Dann die Landschaft, der Karst und das Meer. Dann Kranj, Bilčovs, Ljubljana, Wien. Dann die Politik. Dann die Aktion. Nein! Das „Dann“ gibt es nicht bei rdeča raketa. Alles ist da, man kann es spüren, später weiß man es: Verlust, Krise, Krieg, Drohung, Wut, Kampf, Zerstörung, Dystopie, Traurigkeit, Fragmentiertheit des Lebens, Utopie auch, das Robuste, das Leise und das Innige.
Pure Musik: sanft, kraftvoll, bedrohlich, obsessiv, präzise, unbeirrt, unverhüllt, schamlos. Sie beschwört eine fein- und tiefsinnige, zugleich verzweifelte Poesie herauf. Sie erzählt von einer gebrochenen Zeit – in der Vergangenheit genauso wie in der Gegenwart. Zentrales musikalisches Stilmittel ist die Verfremdung, die Neudeutung des akustischen Materials. Damit wir das Fremde und Befremdliche nicht überhören? Rdeča raketa löst Kosovels Forderung ein, der Künstler möge den “genauesten Ausdruck eines vollständigen Erlebnisses finden, das durch diese organische Gestalt unmittelbar wirke.“ Die kunstvolle Verwebung von Sprache (basierend auf Osojniks Texten), analog- elektronischer und digitaler Klanggenerierung (Synthesizers, Computer), subtil eingesetzten Samples und Fieldrecordings sowie von akustischen Instrumenten samt elaborierter Klangprozessierung (Bassblockflöten- Haucher, Stimmen-Stöhnen, hundertfache Schichtung von Kontrabasstönen, verstimmtes Hochkulturklavier im Normal und Reverse-Modus) stellt sich als eine wundersam heterogene Mischung dar, die – zu einem unteilbaren Ganzen verdichtet – weit über das Feld der Musik hinausweist.
Und je mehr ich renne, umso mehr brenne ich. / Und je mehr ich brenne, umso mehr leide ich, / und je mehr ich leide, umso schneller verlösche ich. / Ja, ich, der ich gern ewig lebte. Und ich, / der rote Mensch, gehe über ein grünes Feld, / im blauen See aus Stille über mir / sind eherne Wolken, o, und ich gehe, / ich gehe, der rote Mensch! / Überall Stille: auf dem Feld, am Himmel, / in den Wolken, nur ich allein renne, brenne / mit meinem glühenden Feuer und / kann nicht die Stille erreichen.
(Kosovel: Rdeča raketa).
Fotos von Osojnik/Schellander sind allesamt aufwendig inszeniert. Sie sind Lichtbilder aus einer anderen Zeit, beruhigend unmodisch. Maja Osojnik könnte Tina Modotti sein, Matija Schellander Yves Klein. Ein fiktives Paar, das eine gemeinsame Geschichte hat. Dieser fotografische Benjaminsche „Tigersprung in die Vergangenheit“ kontextualisiert das kulturelle Gedächtnis mit dem aktuell Zeitgenössischen. Was für diese inszenierte Fotografie gilt, gilt genauso für Arbeit von rdeča raketainsgesamt: Sie lässt ein Bewusstsein von einem Geschichtskontinuum entstehen, das die Gedanken an all die politischen Scherbenhaufen, gesamtgesellschaftlichen Desaster und verratenen individuellen Möglichkeiten neu dynamisiert. Sie spricht von temporären Heimaten und Unbehaustheit, es gibt keine sichere Bleibe mehr. „Das befestigte Haus ist wirklich fest nur durch die Hoffnung, es lebend zu verlassen“ (Paul Virilio). Ein Leben zwischen Aporie und Zuversicht: Wir werden die leeren Räume mit Bedauern erfüllen, die Einsamkeit ausbluten und werden von den leisen Absichten gestillt, heißt es in Osojniks Poem.Rdeča raketa forscht der Geborgenheit in der Kunst nach, bemächtigt sich der Sprachlosigkeit, um wieder Sprechen zu können und frägt: „Leben wir in einem sich aufbauenden System oder in einem in sich zusammenfallenden System? Erscheint die Gesellschaft heute nicht als eine Art Skulptur, die aufgebaut wird und die, bevor sie fertig ist, schon an ihrer Basis zerstört, angeknabbert wird?“ Und: „Wohin richten wir wirklich den Blick hin?“ (Burkhard Stangl)

